Multiple Chemikalien-Sensitivität (MCS)
Die wichtigsten MCS-Klassifikationskriterien nach Cullen, 1987, sind wie folgt:
- die Symptome wurden in Zusammenhang mit einer dokumentierten Umweltexposition erworben
- die Symptome betreffen mehr als ein Organ
- das Krankheitsbild ist chronisch
- die Symptome erscheinen und verschwinden in Zusammenhang mit vorhersehbaren Stimuli
- die Symptome werden durch Chemikalien unterschiedlicher Struktur und Wirkungsmechanismus hervorgerufen
- die Exposition sehr niedriger Dosen führt zur Auslösung der Symptome
- kein einzelner üblicher Organfunktionstest kann die Symptome erklären
Weiterhin gehören zu den wichtigsten MCS-Triggerfaktoren:
1. Kumulationseffekte von lipophilen Toxinen wie chlororganische Verbindungen, Aflatoxine, Lösungsmittel, Pestizide Eiweißzerfallsprodukte (sekundäre Amine) und andere (Ashford NA., Miller CS, 1999, Maschewsky W. 2000; Baines CJ et al, 2004) und von Schwermetallen (Pb, Cd, Hg, Sn, Ni, Cr, Pd, Au, Pt) sowie Korrosionsprodukte aus zahnärztlichen Legierungen und Implantationen (Ionescu G., 1996; Abb. 1) gefolgt von neurotoxischen und immunotoxischen Nebenwirkungen (Konzentrations- und Gedächtnisstörungen, Polyneuropathie bzw. Immunsuppression, Infektanfälligkeit, gestörte Freisetzung von Entzündungsmediatioren, Rea WJ, 1995; Caress SM et al. 2002) vereinzelte Bildung von immunogenen Strukturen mit körpereigenen Proteinen mit Auslöung von Typ-IV-Sensibilisierungs-reaktionen (pos. LTT gegen Schadstoffe, Meggs WJ. 1992) und starken inflammatorischen Reaktionen durch überproportionale Expression von y-IFN, IL-2, IL-10 und NF-KB nach Exposition gegenüber subtoxischen Konzentrationen von viralen Antigenen oder Lösungsmittelgemischen (Bieger WP et al, 2002, Bartram F; 2005)
2. Genetische Polymorphismen wichtiger Detox-Systeme (CytP450-family, Aryl-Hydrocarbon-Hydroxylase, Monooxigenasen bzw. GST, NAT, UDP-Glukuronidase, etc.) der Phase I und II (Seidegard J, Ekström G. 1997; Eggermann T et al., 2003, Schnackenberger; Fabig KR, 2005)
3. Genetische Polymorphismen verbunden mit Abfall wichtiger antioxidativer Enzymsysteme (SOD, GPx, GSH-Red.)
4. Chronischer oxidativer Stress durch exogene und endogene Faktoren gekoppelt mit Chemikalienexposition (Ionescu G, 2000)
5. Erniedrigte antioxidative Kapazität des Blutes (GSH, Coenzym, Q10, ß-Caroten, Selen, Albumin erniedrigt) bei gleichzeitiger starken Produktion von Freien Radikalen (Ionescu JG, 1999, Ionescu JG, 2001)
6. Erniedrigte Gehirnperfusion (SPECT) bzw. Glukose-Utilisation bei stark exponierten MCS-Patienten
7. Erniedrigte muskuläre Stoffwechselleitung mit überhöhter Laktatproduktion (Brinkley KE, Kutcher S. 1997)
Als relevante Diagnosemarker für MCS werden in der Spezialklinik Neukirchen folgende immunbiologische und umweltmedizinische Parameter untersucht:
- Bei Schwermetallakkumulationen: Mobilisationstests mit DMSA, DMPS, EDTA unter antioxidativem Schutz
- zellulärer Sensibilisierungsnachweis der T-Lymphozyten (LTT Metalle bzw. LTT-MCS)
- Pestizid-, Holzschutzmittel- und Solvensbelastung (PCP, PCB’s, Lindan, DDT, Pyrethroide, Benzol, Toluol, Xylol und andere) im Blut
- Detoxprofil (GST, NAT2, Sulfoxidasen, Cyt P450, Metallothioneine)
- Freie Radikale im Blut und Antioxidative Aktivität (AOA) im Plasma (Ionescu JG et al., 2000)
- Gamma-IFN- und IL10-Freisetzung nach Lymphozytenbelastung mit BTX (Bieger WP, 2002)
- Substanz P als Neurotransmitter-ähnlicher Stoff (Kuklinski B, 2003)
- Im Blut: Hirnschrankenprotein S-100 nach Exposition gegen Schwermetalle, Biozide oder Lösemittel (Kuklinski B. et al, 2003)
- Marker des Porphyrin-Stoffwechsels (Kryptopyrol, PBG, UBG, ALA)
Individuelle Therapiemaßnahmen
Erst nach Auswertung dieser Befunde kann man die notwendigen integrativen Behandlungsschritte mit individuellem Charakter einleiten.
In der Regel gehören zur Strategie der Klinik 5 Therapierichtlinien:
1. Die Verordnung entsprechender Ausleitungs- und Detoxverfahren (Entfernung von Dentallegierungen bei nachgewiesener Belastung, Chelatstoffe, biologische Mittel zur Steigerung der I. und II. Detoxphase in der Leber, den Nieren und dem Nervensystem, Hyperthermieanwendungen, Hydrocolontherapie, Toxin-Absorbers, Enzympräparate u. a.) (Ali M et al, 1999, Ionescu G. 2001, Ionescu JG, 2004)
2. Ein individueller hypoallergener und zusatzstofffreier Diätplan, der die festgestellten Intoleranzen berücksichtigt und mit Hilfe von Probiotika zum Aufbau einer physiologischen Darmflora beiträgt.
3. Die Kompensation der festgestellten Defizite an Antioxidantien, Fettsäuren, Aminosäuren, Spurenelementen und Vitamine mit Co-Enzym-Funktion (in Infusions- oder Kapselform)
4. Ein komplexes psychologisches Betreuungsprogramm mit Einzel- und Gruppengesprächen sowie Entspannungstechniken wie Autogenes Training, Yoga, Bio-Feedback u. a.
5. Empfehlungen für ein vom Untersuchungsergebnis abhängiges Sanierungsprogramm am Arbeitsplatz und zu Hause, das die Entfernung verschiedener Emissionsquellen berücksichtigt: Holzschutzmittel, Spanplatten, imprägnierte Teppichböden und Tapeten, Ledermöbel bzw. -kleidung, Wasch- und Desinfektionsmittel, Berufsallergene, Metallgeschirr/-besteck u. a.
Die positiven langfristigen Ergebnisse der Spezialklinik Neukirchen bei Umwelterkrankungen wie MCS, CFS und Fibromyalgie (Kauppi M, 1996, Ionescu JG, 2005) haben die Krankenkassen veranlasst, seit Jahren die Therapiekosten für diese Patienten zu übernehmen.